Immer in Bewegung, immer etwas zu tun – aber warum eigentlich?
Kennst du das Gefühl, dass du immer irgendetwas tun musst? Eine kurze Pause wird mit dem Griff zum Handy gefüllt. Ein leerer Kalender oder ein freier Nachmittag macht dich unruhig? Beim Spazierengehen oder Einkaufen fühlst du dich ohne Podcast oder Telefonat unwohl?
Diese Dauerbeschäftigung und der Beschäftigungsdrang ist womöglich nicht nur eine Gewohnheit – es kann ein Mechanismus sein, um nicht in Kontakt mit dir zu sein, um unangenehme Gefühle oder Gedanken zu verdrängen. Viele Menschen haben verlernt, mit Stille, Leerlauf und Langeweile umzugehen. Stattdessen suchen sie die Ablenkung: mehr Arbeit, mehr Social Media, mehr To-Do-Listen. Doch was steckt wirklich hinter diesem Beschäftigungsdrang?
Vermeintliche Produktivität als gesellschaftlicher Standard
In unserer modernen Gesellschaft wird Produktivität oft mit Wert und Erfolg gleichgesetzt. Wer viel arbeitet, mehrere Projekte gleichzeitig handelt und möglichst wenig Pausen macht, wird schnell als „erfolgreich“ angesehen. Dieser Druck, immer „etwas zu leisten“, hat sich tief in unsere Kultur eingeschrieben und führt leicht zu einem Beschäftigungsdrang. Social Media verstärkt diesen Eindruck, indem es uns die Highlights der Arbeitswelt oder vermeintliche Überflieger präsentiert, die scheinbar 24/7 produktiv sind.
Doch diese Vorstellung ist nicht nur unrealistisch, sondern auch ungesund. Chronischer Stress ist für unseren Körper sehr belastend und gleichzeitig schaden wir unserem Selbstwert, wenn wir unseren Wert an Leistung knüpfen. Wir ignorieren dabei, dass Ruhe, Reflexion und Pausen sehr wichtig für unser Wohlbefinden und unsere Kreativität sind.
Beschäftigungsdrang als Schutzmechanismus
Das ständige Beschäftigtsein kann eine unbewusste Strategie sein, um schmerzhaften Emotionen aus dem Weg zu gehen. Wenn wir konstant abgelenkt sind, unser Geist kontinuierlich Input bekommt, fehlt die Gelegenheit und der Raum mit uns selbst in Kontakt zu kommen. Eher unangenehme Gefühle wie Einsamkeit, Traurigkeit, Angst oder Unsicherheit bleiben im Hintergrund, solange wir unseren Fokus auf externe Dinge richten. Unser Gehirn liebt es, diese vermeintlich unangenehmen Gefühle durch Aktivismus zu überdecken.
Die Ironie: Je mehr wir versuchen, diese Emotionen zu ignorieren, desto stärker wirken sie im Hintergrund. Wir spüren eine diffuse Unruhe, eine permanente Rastlosigkeit. Aber anstatt zur Ruhe zu kommen, legen wir noch eine Schippe drauf und befinden uns dann in einem Teufelskreis.
Die Angst vor der Stille
Doch warum fällt es uns so schwer, innezuhalten? In Momenten der Ruhe – wenn wir nicht abgelenkt sind – können Gefühle und Gedanken laut werden, die wir lange unterdrückt haben. Plötzlich tauchen Fragen auf wie:
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- Bin ich wirklich glücklich in meinem Job?
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- Warum fühle ich mich manchmal so leer, obwohl ich so viel erreiche?
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- Was fehlt mir wirklich?
Diese Gedanken können unbequem sein. Doch genau hier liegt der Schlüssel: Nur wenn wir uns mit diesen Fragen auseinandersetzen, können wir tiefere Erfüllung und innere Ruhe finden.
Der Preis der Dauerbeschäftigung
Es ist wichtig, zu erkennen, dass Dauerbeschäftigung nicht nur unser emotionales Wohlbefinden beeinträchtigt, sondern auch langfristig unsere Gesundheit. Studien zeigen, dass ständiger Stress die Cortisolwerte erhöht, was zu Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen und einem geschwächten Immunsystem führen kann. Zudem kann die ständige Ablenkung dazu beitragen, dass wir den Kontakt zu uns selbst verlieren – zu unseren Bedürfnissen, Träumen und Wünschen.
Besonders bedenklich wird es, wenn wir die Dauerbeschäftigung mit unserem Selbstwert verknüpfen. Dann wird sie zu einem Mittel, um uns selbst zu beweisen, dass wir genügen. Doch wahres Selbstbewusstsein entsteht nicht durch Außenwirkung, sondern durch innere Balance und Selbstannahme.
Hamsterrad des Beschäftigungsdrangs aussteigst
Der Weg aus der Dauerbeschäftigung und zu mehr innerer Ruhe beginnt mit kleinen, bewussten Schritten. Es geht nicht darum, von heute auf morgen nichts mehr zu tun, sondern achtsamer mit deiner Zeit und deinen Gefühlen umzugehen.
1. Erkenne und hinterfrage dein Muster
Frage dich ehrlich: Warum bin ich so beschäftigt? Was treibt mich an? Könnte es sein, dass ich Ablenkung suche, um unangenehmen Gefühlen auszuweichen? Greife ich gerade zum Handy, weil ich wirklich etwas nachschauen möchte, oder gibt es einen anderen Grund?
Sich dieser Mechanismen bewusst zu werden, ist der erste und wichtigste Schritt. Es kann übrigens auch eine ganz bewusste Entscheidung sein, Zeit auf Social Media oder mit lustigen Katzenvideos zu verbringen. Es kann eine ganz bewusste Entscheidung sein sich von einer sechsten Serie berieseln zu lassen. Und genauso gut kann man sich bewusst ablenken, weil man gerade etwas nicht fühlen möchte oder angespannte Zeit (bspw. Rückmeldung nach einem Jobinterview oder Wartezeit bei Arztbesuch). Es geht nicht darum, diese Aktivitäten aus dem Leben zu streichen, sondern sie bewusst und aufmerksam zu tätigen.
2. Lass Stille zu – Schritt für Schritt
Plane kleine Momente der Ruhe in deinen Alltag ein. Das kann ein 5-minütiger Spaziergang ohne Handy sein oder ein Moment, in dem du die Augen schließt und tief atmest. Am Anfang kann es sich ungewohnt oder sogar unangenehm anfühlen. Doch mit der Zeit lernst du, diese Momente zu schätzen.
3. Spüre deine Emotionen
Gefühle wollen gefühlt werden. Statt sie zu verdrängen, lade sie ein, da zu sein. Das ist kein einfacher Schritt und bedarf Übung. Vielleicht startest du mit ein paar Sekunden: Atme tief ein und frage dich: Was spüre ich gerade wirklich? Vielleicht Traurigkeit, Angst oder Unsicherheit – oder vielleicht auch etwas Unerwartetes wie Freude oder Erleichterung. Erlaube dir, diese Emotionen ohne Bewertung zuzulassen.
Was ist, wenn es auch anders geht – im Kontakt mit dir
Die Verbindung mit sich selbst, zu spüren wie es dir gerade geht und was du brauchst – das ist eine Fähigkeit die du erlernen und entwickeln kannst. Sie entsteht automatisch, wenn es für dich der richtige Zeitpunkt ist und du bereit bist dich mit dir zu beschäftigen. Gleichzeitig ist der Zustand der Verbundenheit kein Ziel das man erreicht. Es ist eher ein Prozess, ein kontinuierliches üben und lernen.
Was wäre, wenn du dir erlaubst, langsamer zu werden? Wenn du Raum schaffst, um zu spüren, wie es dir gerade geht und was dir wirklich wichtig ist?
Von Herzen,
Lena